«Messer & Gabel»

Was essen wir morgen, Frau Rützler?

Herobild Hanni Rützler
Als international bekannte Ernährungswissenschaftlerin und Gesundheitspsychologin analysiert Hanni Rützler seit über 25 Jahren den Wandel unserer Esskultur, unter anderem für den renommierten «Food Report». Wir haben sie über Veränderungen in der Gastronomie befragt.

Was sind die relevanten Food-Trends im Moment und welchen Einfluss haben sie auf die Gästebedürfnisse und damit auf die Gastronomie?

Es sind turbulente Zeiten. Und die gehen natürlich auch an der Gastronomie nicht spurlos vorüber. In unseren Tellern spiegeln sich alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens, sich wandelnde Bedürfnisse, Werte, Sehnsüchte und Probleme, die sich in Food-Trends manifestieren. In meinem Verständnis reflektieren Food-Trends also längerfristige Veränderungsbewegungen und Wandlungsprozesse innerhalb unserer Esskulturen. Sie unterscheiden sich daher deutlich von saisonalen Hypes oder Mikrotrends, die von Medien und Influencerinnen propagiert werden.

Besonders lebendig sind seit einigen Jahren Trends, die den Bewusstseins- und Wertewandel im Hinblick auf unsere Verantwortung im Umgang mit der Natur widerspiegeln – Stichwort Klimawandel und Biodiversität. Also alle Trends rund um die Cluster Nach- haltigkeit und Gesundheit. Das reicht von «Brutal lokal» bis «Zero Waste», von «Local Exotics» bis «Plant-based Food», von «New Glocal» bis zu jenem Trend, den ich «Real Omnivore» nenne.

Auch wenn der Begriff Nachhaltigkeit für viele noch abstrakt oder vage ist: Frei nach Paul Watzlawick kann man auch mit Speisen «nicht nicht kommunizieren». Das heisst, nur Fleischspeisen anzubieten oder keine Information zur Herkunft der Lebensmittel zur Verfügung zu stellen, kommuniziert den Gästen, dass einem Nachhaltigkeit und Tierwohl nicht so wichtig sind. Aber dass die Bemühungen um eine bessere, nachhaltigere Zukunft auch auf unseren Tellern entschieden wird, ist mittlerweile klar geworden, vor allem bei jüngeren Gästen. Diese erwarten von der Gastronomie auch, dass sie ihre Menüs entsprechend adaptiert.

Welche Bedeutung hat der Trend New Glocal für die Gastronomie?

Kürzere und transparentere Lieferketten werden wichtiger, insbesondere für Produkte, die nicht in der Region zu finden sind, z.B. Fische aus nachhaltiger Zucht oder Bioreis aus einer spezifischen Region sowie ein verstärkter Fokus auf Saisonalität. Das sind wichtige Schritte hin zu mehr Resilienz und Nachhaltigkeit unserer Ernährungssysteme. In der gehobenen Gastronomie finden wir seit Jahren viele Vertreter dieses Trends. Sie setzen überwiegend auf regionale und saisonale Ausgangsprodukte und verarbeiten importierte Lebensmittel nur, wo es mangels regionaler Produkte Sinn macht. Und diesen «Sinn» muss jeder Gastronom für sich immer wieder neu überdenken und seinen Gästen dann auch glaubhaft vermitteln können.

Welche Bedeutung hat die Nachhaltigkeit für den Gast?

In fast allen Umfragen dazu äussert ein Grossteil der Gäste, dass ihnen Nachhaltigkeit ein zentrales Anliegen ist, auch wenn das in Zeiten der Teuerung nicht einfach ist. Dabei geht es aus meiner Sicht nicht per se ums Sparen, sondern um eine bewusstere Gewichtung der individuellen Budgets. Und dabei sind auch Köchinnen und Gastronomen gefordert, entsprechende Angebote zu offerieren, Speisekarten zu adaptieren, neue Menüs auf Basis von Ausgangsprodukten zu kreieren, die günstiger, aber ebenso kulinarisch attraktiv sind. Es muss – wenn es um Fleisch geht – ja nicht immer das Filet sein.

Was erwarten Gäste heute konkret, wenn sie ein Restaurant aufsuchen – speziell eines mit einer fleischhaltigen Karte?

Manche suchen wohl nach wie vor grosse Portionen und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Andere Fleischliebhaber, geprägt von den zunehmend ethisch geführten Debatten um den Fleischverzehr, wollen mit gutem Gewissen geniessen. Dafür braucht es mehr Transparenz, mehr Information im Sinn von mehr Wertschätzung für das ganze Tier, sprich: mehr Kreativität im Umgang mit Innereien und anderen, zu Unrecht weniger geschätzten Teilen von Tieren. Eine weitere Gruppe sind Flexitarier, die kaum enttäuscht sind, wenn in einem komplexen Menü ein Stück Fleisch in die Rolle der Beilage schlüpft. Vorausgesetzt, die anderen Komponenten der Speise überzeugen den Gaumen.

Was muss erfüllt sein, damit ein Menü mit Fleisch für den Gast rundum Genuss verspricht?

Genuss ist immer mehr als ein rein sinnlicher Genuss. Es bedarf der Erfahrung, des Wissens und auch einer fokussierten Aufmerksamkeit, um geniessen zu können. Fleisch muss daher auch «gut zu denken» sein und das geht in Zukunft nur, wenn es unter tiergerechten Haltungs- und Fütterungsbedingungen sowie einem wertschätzenden Umgang mit dem Tier entsteht. Als Gast fühlt man sich in Lokalen einfach wohler, die sich kreativ, authentisch und nachvollziehbar daran orientieren.

Wie können Gastronominnen und Gastronomen auf diese neuen Gästebedürfnisse reagieren? Was müssen sie ändern?

Die wichtigen Stichworte sind Transparenz bei Herkunft und Produktionsbedingungen, Fokussierung auf eine regionale und faire Einkaufspolitik sowie Information der Gäste über die eigene «Restaurantphilosophie». Zum Beispiel auch darüber, warum man sich entschieden hat, auch mehr vegetarische Speisen anzubieten oder die Portionsverhältnisse zwischen Fleisch- und Gemüsekomponenten zugunsten von Gemüse zu ändern.

Welche Bedeutung hat Fleisch im gastronomischen Angebot der Zukunft? Welche Chancen eröffnen sich hier für die Gastronomie?

Fleisch wird im nächsten Jahrzehnt stärkere Konkurrenz durch pflanzenbasierte Ersatzprodukte und neue Fleischprodukte aus zellulärer Produktion bekommen. Es stellt sich in vielen Regionen die Frage, wo und welche Art der Fleischproduktion in Zukunft Sinn macht. Für den alpinen Raum scheint die Antwort auf der Hand zu liegen: Hier braucht es Rinder und Schafe, um die Wiesen offen zu halten, den Boden zu stabilisieren, die Kräutervielfalt zu fördern und damit die jahrhundertealte Kulturlandschaft zu erhalten. Offen ist die Frage, welche Rassen und wie intensiv wir diese Tiere halten wollen. Aber auch dort: Geringere Fleischproduktion und Konzentration auf bessere Qualität bei Zucht und Zubereitung werden die Lösung sein.

Hanni Rützler

wurde 1962 in Bregenz geboren. Sie hat Ökologie an der Michigan Technology University, USA, sowie Ernährungswissenschaft, Soziologie und Psychologie an der Universität Wien studiert. Unter vielen anderen Funktionen ist sie seit 2004 Referentin des Zukunftsinstituts in Wien und Frankfurt sowie seit 2014 Jurymitglied des Zukunftspreises der Internorga – der Fachmesse für Gastronomie und Hotellerie in Hamburg. Zusammen mit dem Zukunftsinstitut verfasst sie seit über zehn Jahren den jährlich erscheinenden «Food Report», welcher als wegweisende Publikation für Handel und Gastronomie gilt.