Fleischkunde

Gib mir Saures: kochen mit Säure

MuG Fleischwissen Markus Saures
Säure ist ein unterschätztes Element in unseren Küchen. Kaum eine andere Zutat ist derart vielseitig und nuanciert einsetzbar. Küchenchef Markus Schenk vom Restaurant Corso in St. Gallen zeigt, wie er sich die Superkräfte von Säure spannend und innovativ zunutze macht.

«Säure kann so viel mehr, als einen das Gesicht verziehen zu lassen.» So eröffnet Kochbuchautorin und Köchin Samin Nosrat das Säure-Kapitel in ihrem Buch «Salz, Fett, Säure, Hitze». Säure sei deshalb so grundlegend, weil sie die Aromen ausbalanciere: «Indem sie als Kontrast zu Salz, Fett, Zucker und Stärke dient, macht sich Säure bei allem, was wir kochen, unentbehrlich.» Ein Spritzer Essig macht die Rüebli-Suppe facettenreicher, ein Klecks Sauerrahm vollendet die Apfeltarte, und was wäre eine Berner Platte ohne Sauerkraut!

Säure ist international

Wie wichtig Säure beim Kochen ist, erkennt man daran, dass jede Kochkultur der Welt ihre jeweils typischen Säurequellen hat. In unseren Breitengraden sind Essig, Wein und Zitrone die geläufigsten. Die Liste saurer Zutaten lässt sich jedoch beliebig ergänzen: Sauermilchprodukte, Honig, Kakao, Senf, Würzsaucen, Früchte, Kaffee, fermentierte oder sauer eingelegte Lebensmittel – alles Möglichkeiten, um Säure in Gerichte zu bringen.

Säure würzt

All das ist nichts Neues für einen Profi wie Küchenchef Markus Schenk. «Säure spielt immer eine Rolle, wenn ich Gerichte entwickle.» In erster Linie geht es Schenk dabei um die Kontraste, die geschmackliche Wirkung. Der Einsatz von Säure ist für ihn also eine Art des Würzens.

Säure macht (Fleisch) zart

Neben dem Würzen gibt es noch weitere gute Gründe, beim Kochen Säure einzusetzen. So verändert Säure zum Beispiel die Textur von Lebensmitteln. Das ist für die Fleischküche besonders interessant: «Über den Einsatz von Säure kann ich die Proteinstruktur von Fleisch so beeinflussen, dass das Fleisch am Schluss besonders zart und saftig ist», erklärt Schenk. Diesen Trick und weitere Möglichkeiten, Säure in der Fleischküche einzusetzen, demonstriert Markus Schenk anhand von drei Gerichten. Die detaillierten Rezepte dazu findest du am Ende dieses Artikels.

Kalbsfilet, Molkeessig, eingelegtes Gemüse

Säure: Molkeessig, Tomaten

Essig wird auf der ganzen Welt produziert. Die Rohstoffe variieren je nach Region. In Schenks Heimat Südtirol ist fermentierte Molke die Grundlage für einen milden, aber aromatischen Essig.

Effekt: Würze, leichtes «Garen», angenehme Textur

Für dieses Gericht wird grob geschnittenes Kalbsfilet mit einer Vinaigrette aus Molkeessig und Tomaten angemacht. Die Vinaigrette würzt, verändert aber auch die Textur des Fleisches: Das rohe Fleisch bekommt mehr Biss, was zu einem angenehmen Mundgefühl führt. Das Fleisch darf erst in letzter Minute mit der Vinaigrette gemischt werden. Wirkt die Säure zu lange, wird das Fleisch zäh.

MuG Kalb Molkeessig eingelegtes Gemüse

Maispoularde, Buttermilch, Blumenkohl

Säure: Buttermilch

Buttermilch entsteht, wenn aus Rahm Butter gemacht wird. Die dickflüssige Milch enthält – natürlich oder zugesetzt – Milchsäurebakterien. Diese sind verantwortlich für die spritzige und doch milde Säure des Produkts.

Effekt: besseres Safthaltevermögen, angenehme Textur

In vielen Kochtraditionen wird Fleisch (vor allem Geflügel) in Sauermilchprodukten mariniert. Markus Schenk mariniert Maispoulardenschenkel für 12 Stunden in Buttermilch. Die Säure verändert die Proteinstruktur des Fleisches so, dass die Proteine im Fleisch enthaltenes Wasser binden können. So bleiben die Schenkel saftig und der Milchzucker aus der Buttermilch sorgt beim anschliessenden Anbraten für besonders intensive Bräunung und somit Röstaromen.

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Lamm, Rinds-Garum, Pilze

Säure: Säureverbindungen durch Fermentation

Bei diesem Gericht kommt die Säure gewissermassen durch die Hintertür ins Fleisch. Sie entsteht in den knapp anderthalb Monaten, während denen Markus Schenk die Lammschulter immer wieder mit der Würzsauce Garum bestreicht und sie so fermentiert. Garum entsteht übrigens, wenn man proteinhaltige Lebensmittel fermentiert. Schon die Römer brauchten solche Würzsaucen. Markus Schenk produziert sein eigenes Rindsgarum mithilfe der Koji-Fermentation.

Effekt: ausgeprägte Umami-Note

Bei Fermentationsprozessen entstehen besonders komplexe Säureverbindungen, die man später im fertigen Gericht als betont umami wahrnimmt – so auch bei Markus Schenks geschmorter Lammschulter.

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Markus Schenk stammt aus dem Südtirol. Heute bereichern seine beiden Lokale Barz und Corso die St. Galler Gastrolandschaft. Die Stars in Schenks Küche sind sorgfältig ausgewählte Produkte und Spezialitäten aus den Alpenregionen.