Herkunft
«Es geht um das Tier, nicht um eine Sache»
Bei der Ernährung der Schweizer Bevölkerung spielt Stefan Seiler eine wichtige Rolle, doch privat erzählt er erst davon, wenn ihn das Gegenüber kennen gelernt hat. Als Leiter Frischfleisch von Bell verantwortet er in Oensingen die Produktion von rund einem Viertel des frischen Schweizer Kalb- und Rindfleisches und ist zunehmend mit Vorbehalten konfrontiert. «Das öffentliche Bild der Metzgerinnen und Metzger hat sich verändert», sagt der 53-Jährige. Wer nicht im Verkauf tätig sei, werde öfter als früher auf das Schlachten reduziert. Dieser Teil mache zwar nur zehn Prozent des Metzgerhandwerks aus, doch schönreden wolle er nichts: «Am Ende des Tages ist das Tier tot.» Er kenne niemanden, dem das Spass mache. Umso wichtiger ist für Seiler, dass diese Arbeit mit grossem Verantwortungsbewusstsein ausgeführt wird. «Es geht um das Tier, nicht um eine Sache.» Das Tierwohl stehe an erster Stelle, der schonende Umgang sei zentral. Als Bell den Standort in Oensingen 1971 eröffnete, stand das Tier noch nicht derart im Zentrum. Inzwischen wurde zweimal umgebaut, um die Anlage auf dem aktuellen Stand zu halten. Und die Mitarbeitenden werden fortlaufend aus- und weitergebildet. Die Grundlage für ihre Tätigkeit im Umgang mit den Tieren bildet die strenge Gesetzgebung in der Schweiz.
Mehrfache Kontrollen
Sowohl bei der Aufzucht wie der Schlachtung gelten hierzulande höhere Standards zugunsten des Tierschutzes als im Ausland. Zudem werden die nationalen Bestimmungen laufend angepasst, um das Tierwohl zu verbessern wie die neue Verordnung über den Tierschutz beim Schlachten.
"Die Bestimmungen werden laufend angepasst und verbessern das Tierwohl."
Um die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten, werden die Schlachtbetriebe vor Ort gleich mehrfach kontrolliert. Einerseits überprüft ein Veterinär des Kantons vor Ort permanent die Einhaltung des Tierschutzes und der Lebensmittelsicherheit. Andererseits führen auch diverse Organisationen und Kunden selber Kontrollen in den Schlachtbetrieben durch. Damit stellen sie sicher, dass die Produkte für den Endverkauf den eigenen Anforderungen und Labels gerecht werden. Zusätzlich lässt sich Bell wie andere Betriebe auch nach dem International Food Standard zertifizieren. Diese Rahmenbedingungen sind für Seiler ein wesentlicher Bestandteil der Qualitäten, die das Schweizer Fleisch ausmachen. Ein grosser Vorteil ist auch der Standort: Das hiesige Gras- und Weideland liefert den grössten Teil des Futters gleich selber, kurze Wege reduzieren sowohl die Umweltbelastung als auch die Transportzeit für die Tiere. In der EU darf die Fahrt zum Schlachthof bis zu 24 Stunden dauern. In der Schweiz sind maximal acht Stunden erlaubt. Zudem profitieren zwei Drittel der Schweizer Nutztiere von Auslauf, bei Rindern und Kühen sind es sogar mehr als vier von fünf Tieren, die regelmässig an die frische Luft kommen.
Hundertprozentige Verwertung
«Wichtig ist für mich, zu sehen, dass wir in der Schweiz bei der Fleischproduktion in allen Bereichen unsere Verantwortung wahrnehmen und uns permanent verbessern», sagt Seiler. Dazu gehöre auch der Umgang mit Ressourcen. Zentral ist die hundertprozentige Verwertung des Fleisches. Wann immer möglich wird das auch bei den Nebenprodukten angestrebt. Dafür gehen Rinderfüsse auch mal nach Afrika oder Schweinefüsse nach China. Und was beispielsweise nicht als Leder für die Auto- und Modebranche, in der Pharmaindustrie oder für Haustiere verwendet werden kann, wird etwa bei der Energiegewinnung eingesetzt. Gleichzeitig ist die langfristige Entwicklung hin zu nachhaltigem Wirtschaften in der Schweizer Fleischproduktion angekommen. Unternehmen wie Bell legen einen jährlichen Nachhaltigkeitsbericht vor und haben das Thema in der eigenen Strategie verankert. Dazu zählt auch der Bau eines neuen Schlachthofes in Oensingen für über 100 Millionen Franken. Mit dem Neubau wird künftig nicht nur das Tierwohl weiter verbessert. Eine eigene Wasseraufbereitung, grosse Fotovoltaikflächen sowie energieeffiziente Anlagen und Gebäude werden den Ressourcenverbrauch weiter senken.
Verantwortungsvoller Konsum
Beim Blick auf die kommenden Jahre sieht Seiler allerdings auch grosse Herausforderungen: «Wir haben ein massives Nachwuchsproblem.» Wie auf dem Bau und in anderen Branchen entscheiden sich immer weniger Junge für handwerkliche Berufe, die ihnen körperlich viel abverlangen. Das fordert ganze Wirtschaftszweige heraus. Denn viele Jobs sind für die Schweiz unverzichtbar. «Könnte man das Metzgen auslagern, würde längst in Asien produziert.» Doch es ist nach wie vor ein hiesiges Handwerk, das Geschick, Einsatz und Wissen erfordert. Jedes Tier ist anders, weder das Schlachten noch Zerlegen lässt sich an eine Maschine delegieren. Das hat seinen Preis, doch das Endprodukt ist sehr gefragt: Der Verbrauch von Fleisch bleibt auch 2021 konstant, jener von Fleisch aus der Schweiz ist gestiegen: 81 Prozent des Gesamtverbrauchs stammt aus einheimischer Produktion. Gleichzeitig sanken die Käufe im Ausland deutlich.
Veränderung beim Kauf, Verschärfung beim Schlachten
Während der Corona-Pandemie stieg die Wertschätzung der heimischen Produktion markant, gleichzeitig sank der Anteil von privaten Fleischkäufen im Ausland deutlich. Dieser ging zwischen 2019 und 2021 von unter vier auf weniger als zwei Prozent zurück. Gleichzeitig war Fleisch in den Haushalten wieder beliebter. Kauften Konsumentinnen und Konsumenten 2019 rund 215’300 Tonnen Fleisch, waren es 2021 knapp 238’900 Tonnen (plus 11 Prozent). Unabhängig davon wurden per Anfang 2022 die Verordnung zum Tierschutz beim Schlachten in der Schweiz verschärft. Damit werden Stress und Leiden der Tiere weiter vermindert und das Tierwohl bei der Schlachtung in und ausserhalb von Schlachtbetrieben verbessert. Die strengeren Vorschriften wurden aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen und erhalten beispielsweise präzisere Vorgaben für die Betäubung.