Als Anica und Nicole Schmid im Frühling 2020 ihr Lokal wegen des Lockdowns schliessen mussten, nutzte Nicole die Gunst der Stunde. Endlich hatte sie Zeit, sich richtig um Kommunikation und Marketing zu kümmern. Zu dieser Zeit entstand in ihrem Auftrag das Augarten-Bild, ein Gemälde im Stil der Appenzeller Bauernmalerei. Es erzählt davon, wo die beiden Schwestern herkommen, was ihnen wichtig ist und was das Restaurant Augarten ausmacht.
Die Familientradition
«Unsere Familie stammt aus dem Appenzell», beginnt Nicole Schmid zu erzählen. «Als Anica und ich acht und zehn waren, übernahmen unsere Eltern einen Bauernhof im schaffhausischen Dörflingen.» Aufgewachsen sind die beiden Schwestern also im Kanton Schaffhausen, ihre Wurzeln liegen jedoch im Appenzell.
Der Bezug zur alten Heimat wird von der Familie Schmid sorgfältig gepflegt. Anica und Nicole Schmid sind überzeugt, dass ihr ausgeprägtes Interesse für lokale Lebensmittel aus dieser Ecke kommt: «Unsere Eltern, unsere Grosseltern, deren Eltern und die Generationen davor waren Bauern und Bäuerinnen im Appenzell. Unsere Familie hat schon immer eigene Lebensmittel produziert.» Diese Tradition und die Liebe für eigene und lokal erzeugte Produkte leben auch in der jüngsten Schmid-Generation weiter. «Vom eigenen Hof», «vom lokalen Metzger» oder «aus Mamas Garten» sind im Augarten keine Floskeln. Regionalität ist im Augarten kein Marketinginstrument, sondern gelebte Überzeugung.
Der Landgasthof
Und wo würde diese Art der Gastronomie besser hinpassen als ins ländliche und beschauliche Rheinau? Ein kleines Dorf aus Riegelhäusern, bekannt für seine Klosterinsel, umgeben von der berühmten Rheinschleife, von Landwirtschaft und Rebbergen. Hier steht seit rund zwei Jahrhunderten das Wirtshaus Augarten. 2016 hat sich eine lokale Interessengemeinschaft des Gebäudes angenommen und Renovation sowie Ausbau ermöglicht. 2019 war das Lokal zur Pacht ausgeschrieben. Dank einem stichfesten Businessplan und einem Konzept, das Region und Dorf miteinbezieht, wurden Anica und Nicole Schmid zu den neuen Pächterinnen im Augarten. In Rheinau ist man sich einig: Mit ihrer offenen und frischen Art waren die Schwestern ab Tag eins ein Gewinn für das gastronomische Leben im Dorf.
Das Team
«Schon immer», erzählt Nicole Schmid, «waren Anica und ich ein Team. Bereits im Turnverein haben wir jeweils die Gastwirtschaft gemacht, wenn es etwas zu feiern gab. Wir haben das im Blut.» Mittlerweile sind die beiden Schmid-Frauen auch ausgebildete Fachfrauen. Anica Schmid ist Köchin mit Erfahrung in der Gemeinschafts-, aber auch in der Sternegastronomie. Nicole Schmid kommt aus dem Detailhandel im Weinbereich und ist Sommelière. «Wir sind völlig unterschiedlich, ergänzen uns aber perfekt», sagen beide. Hier Frontfrau Nicole, dort Anica, die stille Künstlerin in der Küche. Das Schwestern-Teamwork funktioniert: «Ich treffe keine Entscheidung, ohne sie vorher mit Anica abgesprochen zu haben», so Nicole. Und Anica fügt an: «Wir haben auch gelernt, aufeinander aufzupassen. Unsere Tage sind streng. Wir wissen beide, wie wichtig es ist, immer wieder zur Ruhe zu kommen. Uns gegenseitig auch dabei zu unterstützen, ist extrem wichtig.»
Da ist Familie drin
Wer den Augarten besucht, trifft früher oder später auch auf Mama und Papa Schmid. Meist nur indirekt zwar – beim Blick in die Speisekarte. Die Produkte «vom eigenen Hof» und aus «Mamas Garten» sind das Fundament der Augarten-Küche.
Von den Höfen, dem Rhein und den Rebbergen der Region – im Augarten gibt’s nur Bestes aus der Nähe.
Oben links auf dem Augarten-Bild, das Nicole zu Werbezwecken hat malen lassen, liegt der Hof der Familie Schmid. Zwei Schweineställe, Rinder, Schafe, Hühner, Wachteln, Eier, Mais, Nüsse und Gemüse: Alles, was vom elterlichen Betrieb in Anicas Küche und auf den Tellern der Gäste landet, ist hier abgebildet. Besonders wichtig: die Fleischprodukte. Papa Werner Schmid betreibt eine IP-Suisse-Schweinezucht und -mast. Die Mehrheit der Tiere ist für den Grossmarkt bestimmt, doch einzelne Tiere nehmen ihm seine Töchter ab.
«Unser gesamtes Schweinefleisch stammt vom eigenen Hof. Ein Kundenmetzger aus dem Nachbardorf schlachtet, zerlegt und verarbeitet die Tiere für uns», erklärt Anica Schmid. Die Gerichte mit Schweinefleisch sind beliebt im Augarten. Anicas Schweinshalsbraten aus dem Smoker ist schon fast ein Signature Dish. Auch beim Lammfleisch kommt man im Augarten mit dem aus, was der elterliche Hof hergibt. Ab und zu kaufen die Schwestern ihrem Vater auch ein ganzes Rind ab. «Das ist dann besonders wertvolles Fleisch für mich», schmunzelt Anica Schmid. «Da verwerte ich erst recht alles vom Tier und überlege mir ganz genau, zu welchem Anlass und für wen ich die besonderen Stücke aufhebe.»
Slow Food – gut, sauber und fair
Bis vor Kurzem wussten weder Anica noch Nicole Schmid, was Slow Food ist. Dabei ist ihre Arbeit ein gutes Beispiel für eine nachhaltige und regionale Gastronomie, für die sich die Slow-Food-Bewegung starkmacht. Erfahre mehr über die Philosophie von Slow Food und das Projekt der Cooks’ Alliance.
Der Legende nach entstand die Slow-Food-Bewegung in den 80er-Jahren aus einer Protestkundgebung. Damals sollte in Rom der erste McDonald’s eröffnet werden. Das kam in der kulinarischen Hochburg nicht gut an. «Slow Food» statt «Fast Food» war damals die Devise. Gut, sauber und fair – so soll unser aller Essen produziert werden, das fordert die Slow-Food-Philosophie noch heute. Die Bewegung setzt sich ein für Lebensmittel, die geschmacklich gut, naturbelassen und in handwerklichen Verfahren hergestellt sind. Dabei darf kein Schaden an Mensch, Natur oder Tier entstehen und alle an der Produktion Beteiligten müssen unter fairen Bedingungen arbeiten können. So engagiert sich Slow Food weltweit für eine nachhaltige, kleinbäuerliche Landwirtschaft, handwerkliche Produktionsverfahren, Tierwohl und kulinarische Traditionen. Heute sind auch Anica und Nicole Schmid Teil der Bewegung: Im Frühling 2021 wurden sie mit dem Restaurant Augarten Mitglied des Slow-Food-Gastro-Netzwerks Cooks’ Alliance. Das Netzwerk verbindet und fördert Gastronominnen und Gastronomen aus der ganzen Welt, die sich mit der Slow-Food-Philosophie identifizieren und in ihren Betrieben entsprechend arbeiten. So wie das die Schmid-Schwestern schon taten, bevor ihr Lokal mit der roten Schnecke ausgezeichnet wurde.