Fast 15 Jahre ist es her, seit Tanja und Kaspar Müller ihre ersten Piemonteser Kühe gekauft haben. «Wir mussten die Tiere aus Dänemark importieren», berichtet Tanja. Weil es damals in der Schweiz keine zu kaufen gab und weil der Import aus Italien aufgrund einer Krankheit gesperrt war. Denn wie der Name schon sagt, stammen die Piemonteser Kühe aus Nordwestitalien. DNA-Analysen haben aber gezeigt, dass die Tiere Blut des indischen Buckelrinds Zebu in sich tragen. «Früher waren Piemonteser typische Dreinutzungstiere – sie wurden für Milch, Fleisch und als Arbeitstiere gehalten», erklärt Tanja Müller.
Eigenwillige Rasse
Piemonteser sind sehr robuste Tiere. «Temperamentvoll und sensibel. Mit Neuem und Veränderungen haben sie grosse Mühe», berichtet Tanja Müller. «Vor ein paar Jahren konnten wir ein neues Stück Land pachten und wollten die Herde hinbringen. Für die 300 Meter zur neuen Weide brauchten wir sechs Leute und vier Anläufe. Zuerst weigerten sie sich ganz einfach, weiterzugehen, und rannten zurück in den Stall», lacht sie.
Eine gute Wahl
Warum haben sich Tanja und Kaspar Müller gerade für diese speziellen Tiere entschieden? «Piemonteser Rinder haben dank der ausgeprägten Bemuskelung sehr viel Fleisch, der Anteil der Edelstücke ist bei ihnen höher», erklärt Kaspar Müller. Tatsächlich sind Huft und Entrecôte merklich grösser als bei anderen Rassen. Zudem haben die Tiere eine dünne Haut und feine Knochen – oder wie es der Profi formuliert:
Unsere Kunden schätzen am Piemonteser-Fleisch neben dem Geschmack auch die Tatsache, dass es fast keinen Garverlust gibt.
«Die Tiere haben eine hohe Schlachtausbeute und davon eine hohe Fleischausbeute.» Und auch die Qualität des Fleischs ist ausgezeichnet. Das Besondere daran: Piemonteser haben so gut wie kein Oberflächenfett. Weder die Mutterkühe noch die Rinder in der Mast setzen Fett an. «Und trotzdem wird das Fleisch nicht trocken – dank seiner ausgesprochenen Feinfaserigkeit und dem intramuskulären Fett ist es sehr zart und saftig und hat nur einen geringen Garverlust», erklärt der Züchter.
Ein Leben auf der Wiese
Auf dem Tannenhof leben die Tiere seit diesem Jahr in einem modernen Laufstall, der viel Platz bietet für die Ausmast der männlichen und weiblichen Tiere, für die Abkalbeboxen und für alle Muttertiere. «Natürlich lebten die Tiere schon vorher in einem Laufstall, aber jetzt haben wir alle zusammen an einem Ort», erklärt Kaspar Müller. Alle zusammen, das sind 40 Muttertiere und rund 40 Kälber und Mastrinder. Zum Hof gehören zudem eine Schweinemast und Forellen, Hühner, Katzen und Pferde. Bei unserem Besuch sind viele Kühe und Rinder im Stall, der heisse und trockene Sommer hat den Wiesen stark zugesetzt. «Aber im Normalfall sind die Tiere im Frühling, Sommer und Herbst jeden Tag auf der Weide.»
Kaspar Müller mit seinen Rindern – sind die Wiesen beispielsweise durch heisses Wetter besonders beansprucht, müssen die Tiere auch mal im hellen Stall bleiben.
Natürliche Aufzucht
Die Kälber dieser weissen Urrasse kommen übrigens mit einem eher rötlichen Fell zur Welt. Dieses dient ihnen zur Tarnung. «Wären sie weiss, würde sie ein Raubtier viel schneller entdecken. So sind sie viel schwieriger zu finden. Das merken auch wir manchmal, wenn eines ausbricht und wir es suchen müssen», berichtet er weiter. Mit acht bis zehn Monaten werden die Kälber von der Mutterherde getrennt und gemästet, bis sie ca. anderthalbjährig sind. «Manchmal sind sie auch 20 Monate alt, manchmal nur 16 – wir haben den grossen Vorteil, dass wir einfach dann schlachten können, wenn wir wieder Fleisch für den Verkauf benötigen. Im Sommer ist das etwas mehr als im Winter.»
Den Hof bewirtschaften Tanja und Kaspar Müller mit der Hilfe eines Lehrlings. «Meist haben wir noch einen Angestellten, aber es ist schwierig, Fachkräfte zu finden.» Die beiden haben den Hof, der sich seit September 1830 in Familienbesitz befindet, 2002 von Kaspars Eltern übernommen.
Nachhaltiges Futter
Geschlachtet wird im Nachbardorf, den Rest der Arbeit übernimmt Kaspar Müller selbst. Er ist nicht nur gelernter Landwirt, sondern auch Metzger. Gefüttert werden die Mastrinder ausschliesslich mit Schweizer Futter. Mais und Heu aus eigener Produktion und Rapsschrot als Kraftfutter. «Wir liefern unseren Raps via Landi an die Ölmühle und holen dann wieder Schrot aus der Landi – also wahrscheinlich ist auch das Rapsschrot, das unsere Tiere fressen, zum Teil aus unserer Produktion», schmunzelt Tanja Müller. Der Mais sorgt übrigens dafür, dass sich möglichst viel intramuskuläres Fett bildet.
Von der Wiese auf den Markt
Das Fleisch ihrer Tiere verkaufen die Müllers selbst, per Direktverkauf und jeden Samstag auf dem Markt in Langenthal. Denn obwohl es bei den Endkunden sehr beliebt ist, ist Piemonteser-Fleisch für den konventionellen Markt nicht geeignet.
«Piemonteser-Fleisch eignet sich ausschliesslich für die Direktvermarktung», erklärt Tanja Müller. «Piemonteser werden im CH-TAX – dem offiziellen Einschätzungsund Klassifizierungssystem des Fleischmarktes – als C1 eingestuft. Das C steht für eine ausgezeichnete Fleischigkeit, doch das fehlende Oberflächenfett sorgt für grosse Abzüge im Schlachthof, wo ein C3, also eine gleichmässige Fettabdeckung, gefragt wäre.» Und trotzdem ist das Fleisch der Piemonteser ein Genuss, weil es das fehlende Oberflächenfett durch intramuskuläres Fett wettmacht.
Die Edelstücke vom Piemonteser Rind – wie hier das Entrecôte – werden drei Wochen gelagert, bevor sie in den Verkauf kommen. Auch hier gut zu erkennen: das extrem dünne Oberflächenfett.
Geheimtipp für Geniesser
Würde ein eigenes Label helfen, das Fleisch in den konventionellen Markt zu bringen? «Dafür ist die Population in der Schweiz aber zu klein», antwortet Tanja Müller – und da es sich um eine spätreife Rasse handle, die erst mit eineinhalb Jahren schlachtreif sei, komme auch Natura-Beef nicht infrage, da die Rinder dafür schon mit zehn Monaten geschlachtet werden müssten. Und so bleibt das ausgezeichnete Fleisch der Piemonteser wohl noch länger ein Nischenprodukt und ein köstlicher Geheimtipp.
Rinder aus aller Welt
Manche kommen aus den Schweizer Bergen, andere stammen ursprünglich aus Irland, Frankreich und sogar aus Indien. Doch heute sind viele dieser Rinderrassen auch in der Schweiz heimisch und sorgen für eine ausgesprochene Artenvielfalt. Abseits der Urrassen Simmentaler, Original Braunvieh und bekannterer Rassen wie Limousin, Angus, Charolais haben wir dir hier ein paar rarere Rassen herausgepickt:
Piemonteser
Die Piemonteser stammen aus Norditalien – und ursprünglich aus Indien oder Pakistan. Das Fleisch der Piemonteser hat kein Oberflächenfett, aber einen ausgewogenen Anteil an intramuskulärem Fett, der es schön zart und saftig macht.
Rätisches Grauvieh
Diese Rasse stammt ursprünglich aus der Schweiz und wurde hier 1985 auch wieder angesiedelt. Die ruhigen Tiere werden neben ihrer Milch und ihrem Fleisch auch für die Landschaftspflege in den Schweizer Alpen gehalten.
Evolèner
Die eher selten gewordenen Kühe stammen aus Evolène im Walliser Val d’Hérens. Die kleinen Schwestern der viel bekannteren Eringer kommen heute vor allem noch im Oberwallis und im Berner Oberland vor.
Aubrac
Aubrac-Rinder kommen ursprünglich aus der Auvergne und sind eine Kreuzung von Maraîchine-Rindern und Braunvieh. Ihre Milch ist recht fetthaltig – ihr Fleisch hingegen kurzfaserig und deshalb sehr zart und gleichzeitig geschmackvoll.
Hereford
Das Hereford-Rind stammt eigentlich aus England, ist heute aber die am weitesten verbreitete Fleischrasse der Welt. Die von Natur aus hornlosen Tiere werden für die ausgezeichnete Marmorierung ihres Fleisches geschätzt.
Dexter
Das kleine Schwarze unter den Rindern stammt ursprünglich aus Irland – sein Vorfahre ist das wilde Bergrind. In der Schweiz wird die robuste Zweinutzungsrasse hauptsächlich für ihr zartes und geschmackvolles Fleisch gehalten.