Während über 30 Jahren führte Daniel Müller gemeinsam mit seinem Bruder Stephan einen grossen Bio-Betrieb in Steinmaur im Zürcher Unterland. Im Januar 2018 dann zog er mit seiner Frau Esther, seinem mittleren Sohn, dessen Familie und fast 200 Tieren auf den neuen, gemeinsamen Hof in Bettlach im Kanton Solothurn. «Wir hatten einfach Lust, nochmals etwas Neues zu wagen und einen Hof zu gründen, den mein Sohn eines Tages gerne übernimmt.»
Skudden-Böcke tragen imposante schneckenförmige Hörner. Die Weibchen sind meist hornlos. Manchmal haben sie kleine Hörner oder Hornstummel.
Viel Vielfalt
Wer sich auf dem Hof der Müllers umschaut, merkt schnell, dass die Familie viel Neues wagt. Denn auf dem Hof leben nicht nur die unterschiedlichsten Tierarten, sondern auch jeweils verschiedene Rassen. Während sich Daniel Müller vor allem auf die Schafzucht konzentriert und neben 80 Engadinerschafen auch 20 Skudden und 40 Saaser Mutten hält, hat sich sein Sohn ganz der Geflügelzucht verschrieben und züchtet verschiedene Pro-Specie-Rara-Rassen wie etwa die Appenzeller Spitzhauben. Dann gehören zum Hof noch Diepholzer Gänse, verschiedene Enten, Wollschweine und zwei Freiberger. Zudem testet Daniel Müller in seinem ersten Sommer auf dem neuen Hof den Anbau von Bio-Gemüse: «Ich will sehen, was von alleine am besten wächst, und dann entscheiden, was wir im nächsten Sommer anbauen.»
Mit alten Schafen lernt man kochen
Die Engadinerschafe und Saaser Mutten hält Müller in erster Linie für ihr Fleisch. Dabei achtet er darauf, das ganze Tier und vor allem auch alte Schafe zu verwerten. «Als meine ersten Engadinerschafe alt wurden und langsam ausgedient hatten, fragte ich beim Metzger nach, was man mit ihrem Fleisch machen könnte, und bekam zur Antwort: ‹Wegwerfen oder zu Hundefutter verarbeiten›», erinnert sich Müller, während er bestes Trockenfleisch, Schüblig und Salami vom alten Schaf serviert. Heute hat er Partner gefunden, mit denen er auch fünf- bis zehnjährige Schafe und sogar Böcke verarbeiten kann.
Auch die Wolle und die Felle der Engadinerschafe werden natürlich verwertet. Aus der Wolle entstehen Filz und Dämmmaterial. «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kinder, die auf natürlich behandelten Lammfellen schlafen, weniger Allergien haben», berichtet Müller.
Ein Nischenmarkt
Das Besondere bei Engadinerschafen sei, dass sie von Natur aus schön mageres Fleisch haben und man die Tiere locker 50 bis 60 Kilo schwer werden lassen könne, ohne dass sie verfetten würden. «Ich metzge meine Tiere alle über 50 Kilo – so mit sechs bis acht Monaten – und habe perfektes Fleisch, mit wenig Fett. Darunter hat diese Rasse noch zu wenig Fleisch am Knochen.» Dies sei aber nur möglich, da er auf Direktvermarktung setze. «Wer seine Lämmer in Grossmetzgereien bringen will, muss darauf achten, dass die Lämmer weder zu schwer noch zu gross sind. Sie müssen unter den branchenüblichen 45 Kilo liegen», berichtet Müller.
Die letzten Reste des Schaffleischs wie Ohren, Herz, Lunge und so weiter wollte Müller übrigens tatsächlich zu Hundefutter verarbeiten. «Um wirklich das ganze Schaf zu brauchen. Aber die Auflagen dazu sind so streng, da hätte ich noch eine eigene Produktionshalle einrichten müssen.»
Die perfekten Rasenmäher
Als weitere Einnahmequelle beteiligen sich Esther und Daniel Müller mit ihren Schafen seit 2017 zusätzlich am Programm Naturpflege, das von Michael Dieterle und Christian Fluri vor gut neun Jahren lanciert wurde. Statt dass Böschungen mit Mulch bedeckt oder gemäht werden, grasen die Schafe sie ab und leisten somit wertvolle, nachhaltige Landschaftspflege – für die SBB, aber auch für Privatkunden mit grossen Gärten. Für die Naturpflege würden sich vor allem die Skudden eignen, erklärt Müller: «Sie sind am besten an extensive Fütterung gewöhnt. Engadinerschafe und Saaser Mutten haben Mühe, mit dem Futterangebot in diesen Böschungen Gewicht zuzulegen, aber wenn mal Not am Schaf ist, helfen sie in den Skudden-Herden mit.»
Gefressen wird, was unter die Hufe kommt
Ich habe grossen Respekt vor allen unseren Tieren und will, dass sie genau das Futter bekommen, das sie brauchen. Darum produzieren wir es hier auf dem Hof selbst.
Für Müller sollten Schafe das fressen, was der Mensch nicht verwerten kann. Darum verzichtet er ganz auf Kraftfutter und achtet genau darauf, dass die Schafe dort grasen, wo sie das bekommen, was sie für ein gutes Wachstum brauchen. Einzige Ausnahme sind Muttertiere mit Mehrlingen – sie erhalten während der Säugezeit Maispflanzenwürfel aus der eigenen Produktion. «Skudden fressen alles, was grün ist. Sie verwerten wirklich restlos alles.»
Das Engadinerschaf werde unter anderem gegen die Grün-Erle eingesetzt, gegen die die Bauern in höheren Lagen vorgehen müssen. «Seit immer weniger Rinder auf die Alpen gehen, breitet sie sich viel zu stark aus und reichert den Boden mit Stickstoff an. Die Engadinerschafe helfen, dieses Problem zu lösen.»
Daniel Müller und seine Familie sind bei der Schafzucht einfallsreich: Von der Vermietung als Landschaftsgärtner bis zum Verkauf von Lammfell, hier wird ganzheitlich gedacht.
Alle zwei Tage besuchen Daniel Müller und seine Frau die Herden, die für die Naturpflege unterwegs sind, kontrollieren, dass es allen gut geht, sie genug Wasser und Nahrung haben und keines ausgebüxt ist. Preislich liegen die tierischen Rasenmäher übrigens bei 65 bis 85 Rappen pro Quadratmeter. «Sicher nicht teurer, als wenn ein zweibeiniger Landschaftsgärtner zum Mähen vorbeikommt», lacht Müller.
Die Welt der Schafe
Schafe und Ziegen sind die ältesten Nutztiere des Menschen – liefern sie doch nicht nur feines Fleisch und Milch, sondern auch Wolle und warme Felle. Wir haben einige der wichtigsten Rassen für dich zusammengetragen:
Engadinerschaf
Das braune Engadinerschaf mit seiner Ramsnase und den Hängeohren – im Engadin auch Paterschaf «besch da pader» genannt – ist sehr zutraulich und robust. Es ist sehr fruchtbar und bringt übers Jahr bis zu drei Lämmer auf die Welt.
Skudde
Die kleinen Heidelandschafe mit dem groben Vlies sind perfekt für die Landschaftspflege. Sie sind extensives Futter gewohnt und fressen sogar Rinden und Laub. Ihr langsam wachsendes Fleisch gilt als Spezialität.
Weisses Alpenschaf
Die hornlosen, rein weissen Schafe machen rund 50–60% des Schweizer Gesamtbestandes aus. Sie werden für ihre Mastfähigkeit und für ihre gute Milch- und Fleischleistung geschätzt. Wie auch die Engadinerschafe bringen sie Lämmer asaisonal zur Welt.
Walliser Schwarznasenschaf
Die von Natur aus robusten Schwarznasenschafe sind perfekt an die Bedingungen im Gebirge angepasst und eignen sich hervorragend für die Landschaftspflege im Hochgebirge. Ihr Fleisch gilt aufgrund der Fütterung mit Alpenkräutern als besonders fein.
Spiegelschaf
Ihren Namen hat die robuste Rasse von der wollfreien, glatten Stirn, dem sogenannten Spiegel. Das Spiegelschaf mit seiner schwarzen «Brille» und den dunklen Ohrspitzen hat ein feinfaseriges, fettarmes und sehr schmackhaftes Fleisch.
Texelschaf
Das grosse, weisse Texelschaf stammt von der holländischen Insel Texel und gilt unter anderem aufgrund der geringen Verfettung als ausgezeichnete Fleischrasse, bei der die Fleischqualität auch bei älteren Tieren gut ist.