Hoch über dem Walliser Dorf Mund, auf 1350 m ü. M., steht gross und stolz der Safranhof. Hier oben halten die Brüder Urs und Marc Schnydrig gemeinsam mit ihrer Familie 45 Walliser Schwarzhalsziegen und 15 gemsfarbige Gebirgsziegen. Zudem gehören zum Hof 30 weisse Alpenschafe, ein paar Hühner – und jetzt im Winter acht Rinder und zwei Kühe, die ihnen ein anderer Bauer zur Überwinterung anvertraut hat. Klingt nach einem Full- Time-Job? «Nicht doch», lacht Urs Schnydrig, «dafür können wir zu wenig absetzen, gerade beim Fleisch.» Er und sein Bruder hätten beide einen Job und würden den Safranhof vielmehr als Hobby und Nebenerwerb führen, erklärt er.
Die Krux mit dem Ostergitzi
Ziegenfleisch rentiert nicht – warum? «Gitzifleisch ist leider noch immer ein sehr saisonales Produkt», erklärt Urs Schnydrig. Die Konsumentinnen und Konsumenten würden fast nur an Ostern Gitzi kaufen – und das wirke sich natürlich stark auf den Preis aus.
Im Herbst verdienen wir an einem Kilogramm Fleisch gut fünf Franken weniger als an Ostern.
«Im Herbst verdienen wir an einem Kilogramm Fleisch gut fünf Franken weniger als an Ostern. Die Produktionskosten bleiben aber dieselben.»
Anders als bei den Lämmern existiert für Gitzi zudem ein klar definiertes Schlachtgewicht von 5 bis 7,8 Kilo. «Was schwerer ist, können wir fast nicht verkaufen. Und bei einem Basispreis von CHF 14.– pro Kilo schaut grundsätzlich nicht viel heraus. An Gitzis, die etwas älter sind, wäre mehr Fleisch dran – und das ist genauso zart und gut.» Genau an Ostern bereit zu sein, sei für einen Züchter ganz schön schwierig, führt Schnydrig weiter aus – da das Osterfest manchmal im April, manchmal aber schon Ende März vor der Tür stehe. «Wir können die Ziegen erst decken, wenn sie im Herbst von der Alp kommen – die Gitzi kommen dann nach fünf Monaten von Januar bis März zur Welt, und je nachdem haben sie an Ostern genau das richtige Schlachtgewicht oder sie sind noch zu leicht oder schon zu schwer.»
Auf dem Safranhof der Familie Schnydrig oberhalb des Walliser Dörfchens Mund leben neben Walliser Schwarzhalsziegen auch gemsfarbige Gebirgsziegen.
Das grosse Umdenken
Trotz einigen Hürden engagiert sich die Familie Schnydrig mit voller Kraft für die Ziegenzucht. Urs und Marc verbringen beide täglich gut vier Stunden bei den Ziegen – füttern, melken, misten. Gut Ding braucht Weil und Einsatz. «Unsere Ziegen bekommen im Winter in erster Linie Heu, das wir im Sommer selber einholen. Und ein klein wenig Kraftfutter.»
Aber Halt. Melken? Handelt es sich bei der Walliser Schwarzhalsziege nicht um eine typische Fleischrasse? «Eigentlich schon. Aber damit wir auf unserem Hof die Wertschöpfungskette erweitern können, haben wir vor vier Jahren angefangen, auch die Milch der Schwarzhalsziegen zu verwerten.» Damit das möglich wird, haben die Schnydrigs umgedacht und die Geburt der Jungen auf den Herbst gerichtet. So können sie im Winter, wenn die Ziegen im Stall sind, die Milch nutzen und zu Käse verarbeiten. Und damit lösen sie auch gleich noch ein weiteres Problem: «Wie gesagt gebären Ziegen traditionell Anfang Jahr, sodass die jungen Gitzi an Ostern für den Handel bereit sind. Die Muttertiere sind dann gerade ‹voll in der Milch› und müssen entsprechend trockengestellt werden, damit sie im April oder Mai auf die Weide können.
Die beiden Brüder Urs und Marc arbeiten beide täglich mindestens zwei Stunden auf dem Betrieb – zusätzlich zu ihren «normalen» Stellen bei der SBB und als Milchtechnologe und Besamungstechniker.
Das frühe Abstillen kann manchmal zu Problemen am Euter führen.» Schnydrigs konnten mit der Umstellung auf die Herbstgitzi und die Milchnutzung im Winter dieses Problem lösen. Und so gibt’s vom Safranhof neben feinem Gitzifleisch, Ziegenwurst und -trockenfleisch auch würzigen Ziegenkäse und Ziger aus hauseigener Produktion.
Talentierte Landschaftsgärtner
Während die Ziegen ihre Winter also im warmen Stall in Mund verbringen, geniessen sie den Sommer in absoluter Freiheit auf der Brischeralp. Ziegen sind im Allgemeinen sehr robuste Tiere und fürs Leben im Gebirge wie gemacht. «Unsere Ziegen bekommen sehr selten Medikamente. Eine Ziege ist – etwas krass ausgedrückt – gesund oder tot: Ist ein Tier wirklich krank, geht es meist sehr schnell ein, ohne dass man etwas machen kann.»
Durch das Mähen, Weiden und die Alpsömmerung liefern Mensch und Tier einen wertvollen Beitrag an die Landschaftspflege: Während der Bauer die Wiesen rund um Mund pflegt, kümmern sich die Ziegen im Sommer auf der Alp darum, dass die Büsche nicht zu hoch werden und das Gras immer schön «gemäht» ist.
Auf 1350 m ü. M. liegt der Safranhof der Familie Schnydrig, der 1994–1996 gebaut wurde. Zum Hof gehören zudem gut 18 Hektar Futterfläche.
Am Ende des Sommers schliesst sich der Kreis und die Ziegen kehren von der Alpweide zurück auf die Herbstweiden und dann in den Stall. «Da wir die Gitzi im Herbst zu einem tieferen Preis absetzen, behalten wir die meisten Tiere für die Zucht und verarbeiten das Fleisch älterer Ziegen», erklärt Marc Schnydrig. «Doch eigentlich könnten wir das ganze Jahr über köstliches Fleisch liefern. Nur den passenden Gastronomen, der gutes Fleisch von einheimischen Tieren fördern und Gitzi das ganze Jahr über auf seiner Karte haben möchte, den haben wir noch nicht gefunden.
Die Rassenvielfalt in der Schweiz ist so gross – doch wenn die Wertschätzung seitens der Kunden nicht da ist, wird sie irgendwann verloren gehen.» Das zu verhindern, liegt an uns allen.
Milch, Käse und Fleisch
In der Schweiz werden Ziegen vor allem zur Milch- und Käseproduktion gehalten. Es gibt aber auch einige Fleisch- oder Doppelnutzungsrassen. Die wichtigsten stellen wir dir hier vor.
Walliser Schwarzhalsziege
Vorne schwarz, hinten weiss – das sind die Schwarzhalsziegen, früher Gletschergeissen genannt. Ihre Heimat ist das Oberwallis, wo sie heute für Fleisch und selten für Milch, aber auch zur Landschaftspflege und zur Freude der Touristen gehalten werden.
Burenziege
Die Burenziege ist eine der weltweit bekanntesten Fleischrassen. Sie verfügt über einen höheren Fleischanteil als eine typische Milchziege und ihr Fleisch ist sehr fein und zart – ohne den typischen Ziegengeschmack.
Nera Verzasca
Wie ihr Name schon vermuten lässt, ist die Nera Verzasca eine Tessiner Lokalrasse. Die robusten, reinschwarzen Tiere werden von Züchtern sowohl für ihre ausgezeichnete Fleischqualität wie auch für ihre gute Milchleistung geschätzt.
Capra Sempione
Wie die Schwarzhalsziege ist auch die weisse Capra Sempione eine typische Walliser Fleischrasse mit langen Haaren. Die schönen Tiere, deren Bestand immer noch gefährdet ist, zeichnen sich aus durch eine gute Mastfähigkeit.
Bündner Strahlenziege
Die tiefschwarze Gebirgsziege mit weissen Stiefeln, Maul und Spiegel stammt ursprünglich aus Graubünden, ist heute aber in der ganzen Schweiz vertreten. Die anhänglichen Tiere werden als Milch- und Fleischziegen gehalten.
Stiefelgeiss
Die Stiefelgeiss stammt ursprünglich aus dem St. Galler Oberland. Erkennungsmerkmal sind die meist dunkleren Grannenhaare auf Rücken und Hinterhand. Die ausgezeichneten Landschaftspfleger werden für Milch und Fleisch gehalten.
Der feine Unterschied: Tierhaltung.
Die Schweiz tut viel fürs Tierwohl. Wir haben freiwillige Programme wie BTS und RAUS für eine naturnahe Haltung und eines der strengsten Tierschutzgesetze der Welt, das unter anderem die Fütterung und den Medikamenteneinsatz regelt.