Fleischkunde
Vom Suppenhuhn zum Superhuhn
Suppenhühner gibt’s, weil wir Eier brauchen. Hansjörg Ladurner, Küchenchef im Restaurant Scalottas in der Lenzerheide, macht schnell klar: Sprechen wir vom Suppenhuhn, müssen wir beim Ei beginnen. Ab einem Alter von ca. sechs Monaten legt ein Huhn je nach Rasse 150 bis 300 Eier pro Jahr. Doch jeweils einmal im Jahr machen die Hühner eine Pause: Mit rund 18 Monaten kommen sie zum ersten Mal in die Mauser – das heisst, sie wechseln ihr komplettes Federkleid. In einer Herde mausern alle Hühner gleichzeitig und weil das ein anstrengender Vorgang ist, legen sie in dieser Phase – und das sind fast zwei Monate – keine Eier. Kein Problem für Ladurner: «In der Zeit der Mauser gibt es im ‹Scalottas› halt keine Eier», erklärt der Koch, der seine 20 Schweizer Hühner bis zu vier Jahren hält.
In der modernen Eierproduktion hingegen kann sich niemand mehr einen zweimonatigen Ausfall leisten und auch die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher würden wohl kaum freiwillig eine Eierpause einlegen. Deshalb haben heute die meisten Legehennen mit Beginn der ersten Mauser ausgedient. Sie werden geschlachtet und somit zu Suppenhühnern.
Hansjörg Ladurner und eine seiner Restaurant-eigenen Legehennen.
Was tun mit dem Huhn?
In der Schweiz fallen pro Jahr gut zwei Millionen Suppenhühner an, die Tendenz ist seit den letzten Jahren steigend. Doch Herr und Frau Schweizer konsumieren so gut wie keine mehr. Zu schlecht der Ruf vom zähen, ausgemergelten Vogel, vergessen das Wissen über die Zubereitung einer nahrhaften Hühnersuppe. Hinzu kommt, dass moderne Schlachtanlagen nur noch für die Zerlegung von Masthühnern konzipiert sind. Die viel schmächtigeren Legehennen können dort nicht mehr verarbeitet werden.
98% der Mastpoulets profitieren von «Besonders tierfreundlichen Stallhaltungssystemen» (BTS) (Stand 2021).
Sie verfügen über einen Wintergarten und über erhöhte Sitzplätze. So auch beim Geflügelproduzenten Staub.
Und so wurden in der Schweiz lange nur noch etwa 20 Prozent aller Legehennen als Nahrungsmittel verwendet, der Grossteil wurde zu Biogas weiterverarbeitet. Seit einigen Jahren gibt es Bestrebungen, das Fleisch alter Legehennen als Nahrungsmittel zu erhalten. Und tatsächlich gelangen heute wieder fast 70 Prozent der Legehennen in Form von Charcuterie in den Lebensmittelhandel.
Viel besser als sein Ruf
Rechnet man nach, bleiben pro Jahr aber immer noch gut eine halbe Million Suppenhühner, die nicht verwertet werden. «Das ist eine sinnlose Verschwendung, die so nicht sein muss», bekräftigt Hansjörg Ladurner. Denn entgegen ihrem Ruf sind Suppenhühner weder zäh noch fleischlos. Umso mehr, als dass die heutigen Suppenhühner kaum älter als 18 Monate sind. «Und auch ein vierjähriges Tier ist – richtig zubereitet – ein Highlight», schwärmt Ladurner. Höchste Zeit also für die Ehrenrettung des verrufenen Vogels! Lesen Sie auf den kommenden Seiten, wie wir gemeinsam mit Hansjörg Ladurner das Beste aus dem Suppenhuhn herausholen.
Ich bestehe darauf, dass die Füsse dranbleiben. Denn in eine perfekte Bouillon gehören auch die Füsse, sie verleihen der Suppe noch einmal Extrageschmack.
Einmal pro Jahr lässt Hansjörg Ladurner die ältesten Hühner in seiner Herde schlachten. Der Chef begleitet seine Tiere immer höchstpersönlich nach Malans in die Dorfmetzgerei, wo sie nach seinen Wünschen verarbeitet werden: «Ich bestehe darauf, dass die Füsse dranbleiben. Denn in eine perfekte Bouillon gehören auch die Füsse, sie verleihen der Suppe noch einmal Extrageschmack.»
Wer nicht das Glück hat, mit eigenen Tieren zu arbeiten, dem empfiehlt Ladurner, mit Eierproduzentinnen und Hühnerhaltern in der Umgebung Kontakt aufzunehmen. Oft seien diese froh, wenn ihnen jemand Suppenhühner abnehme. Und natürlich kann auch der Metzger des Vertrauens mit der Beschaffung von Schweizer Suppenhühnern beauftragt werden.
Ladurners Suppenhuhn-Rezept
Für seine Bouillon setzt Ladurner mehrere Hühner aufs Mal in kaltem Wasser an. Im «wellenden» Salzwasser köcheln die relativ grossen Tiere bis zu acht Stunden vor sich hin. «Ein Suppenhuhn kann eigentlich nicht verkochen», beruhigt der Profi. «Wenn ich das Huhn am Schenkelknochen anhebe und der Knochen herausrutscht, ist es parat.» Etwa eine Stunde vor Ende der Garzeit gibt Ladurner Kräuter, Gewürze und Suppengemüse zur Brühe. Sind die Hühner durch, lässt er sie in der Brühe abkühlen. «Das Fleisch kann sich so einmal richtig mit Flüssigkeit vollsaugen.» Durch das Auskochen der Knochen und der Hühnerfüsse sowie das Fett, das die vierjährigen Tiere angesetzt haben, geliert Ladurners Brühe so fest, das man sie nach dem Abkühlen beinahe schneiden kann. «Das ist purer Geschmack!», freut sich der Küchenchef.
Zu Gast bei Hansjörg Ladurner
Abseits vom grossen Hotelkomplex des «Schweizerhofs» in der Lenzerheide, in einem unscheinbaren Haus, verstecken sich eine schöne Arvenstube und eine kleine Küche. Das ist das «Scalottas», das Reich von Küchenchef Hansjörg Ladurner, Souschef René Bissig und Restaurantleiter Thomas Bocksch. Zum konsequent gelebten Terroir-Konzept des Lokals gehören Holzofenbrot aus dem Dorfbackhäuschen, Bergkartoffeln aus dem Nachbarsdorf, eigene Bienen und Hühner ebenso wie Bauern, die die restauranteigenen Tiere aufziehen – um nur einige Beispiele zu nennen.
Mit alten Hühnern lernt man kochen
Terroir-Koch Hansjörg Ladurner verrät, wie eine gute Hühnerbouillon gelingt und was mit dem Huhn aus der Suppe sonst noch gemacht werden kann.