Nose to Tail will sagen, dass es dem Tier gegenüber unanständig wäre, es nicht von Kopf bis Fuss zu verwerten. Denn es hält auch jenseits des Filets etliche Leckerbissen und Gaumenfreuden für uns bereit.» Das sagt Fergus Henderson, der Autor des Kochbuchs «Nose to Tail Eating», das in den 90er-Jahren erschienen ist.
«Nose to Tail» ist nichts, was Henderson erfunden hat. Ein Tier restlos zu verwerten, war früher gang und gäbe. Und dennoch ist Hendersons unterhaltsames Buch wichtig. In einer Zeit, in der viele Stücke vom Tier in Vergessenheit geraten sind, weckt es Neugier auf Fleischprodukte, die wir nur noch vom Hörensagen kennen oder früher mal beim Grosi gegessen haben. Es macht bewusst, was uns kulinarisch entgeht, wenn wir nicht über das Filet hinausdenken.
Moderne Zeiten
Früher wurde ein geschlachtetes Tier so ganzheitlich wie möglich verwertet. Ein Tier und sein Fleisch waren wertvoll. Dieser Wert, aber auch die Art, wie wir Nahrung produzieren, einkaufen und essen, haben sich über die Jahre verändert. Wir sind viel unterwegs, unsere Verpflegung muss schnell gehen und die Zubereitung einfach sein. Zum Kochen bleibt oft wenig Zeit. Und dank Wohlstand und einem Überangebot an Nahrungsmitteln können wir es uns leisten, wählerisch zu sein.
Unnötiges Ungleichgewicht
Heute sind vor allem Stücke vom Hinterviertel des Tieres gefragt – Edelstücke wie das Filet oder zartes, mageres Fleisch, das sich zum Kurzbraten eignet. Doch solche Stücke machen beim Rind nur etwa 15% des verkaufsfertigen Fleisches aus.
Edelstücke sind heute so beliebt, dass sie teilweise aus Übersee importiert werden müssen. Gleichzeitig werden andere essbare Stücke beispielsweise zu Haustierfutter verarbeitet, weil keine Nachfrage besteht. Das ist ein Ungleichgewicht, das vermieden werden könnte, wenn «Nose to Tail» wieder alltäglicher würde.
Eine Rückkehr zu «Nose to Tail» ist aus mindestens 4 Gründen sinnvoll:
- Genuss: Erweitere deinen kulinarischen Horizont und bringe Abwechslung auf deinen Teller, indem du neue Fleischstücke und Kochmethoden ausprobierst. Schmoren zum Beispiel ist kinderleicht.
- Gewissen: Es zeugt von Wertschätzung dem Tier gegenüber, wenn du nicht nur einen kleinen Teil dessen konsumierst, was es hergibt.
- Umwelt: Im Gegensatz zu vielen Edelstücken werden «Nose to Tail»-Stücke nicht importiert. Sie stammen aus einheimischer Produktion.
- Geld: Schmorstücke, Siedfleisch oder Innereien sind günstiger als Edelstücke. Mit ihnen schonst du dein Portemonnaie auf schmackhafte und nachhaltige Weise.
Für alle, die es genau wissen wollen:
So nachhaltig ist Schweizer Fleisch.Fleisch
Die besten Braten stammen aus dem Hals-, Nacken- und Schulterbereich. Diese grossen Stücke sind durchzogen und enthalten viel Bindegewebe. Das heisst, sie müssen über längere Zeit gegart werden, so werden sie zart und dank dem schmelzenden Kollagen im Bindegewebe wunderbar saftig.
Stücke zum Schmoren findest du überall am Tier, vom Schwanz über die Beine, die Bäckchen, die Brust bis hin zu den Rippen.
Diese Stücke werden durch langes Schmoren butterzart und saftig. Extrasaftig wird Fleisch, das viel Bindegewebe enthält. Dieses erkennst du als helle Einschlüsse. Freue dich darüber, denn beim Schmoren schmilzt das darin enthaltene Kollagen. Das ist es, was diese Stücke so saftig und zart macht.
Schmorstücke kannst du entweder am Stück oder als Ragout – das heisst, zu Würfeln geschnitten – zubereiten.
Viele Stücke, die du schmoren kannst, kannst du auch sieden. Das Prinzip ist das gleiche: Schmelzendes Bindegewebe macht dein Fleisch zart und saftig. Ein perfektes Beispiel dafür und ein echter Geheimtipp ist das Federstück. Es stammt aus der hinteren Brust des Rindes und wird unschlagbar saftig. Weitere «Nose-to-Tail»-Siede-Klassiker sind das Suppenhuhn, die Kalbszunge oder gepökelte Schweinshaxen.
Würste sind auch heute noch «Nose to Tail» par excellence. Fleisch, das bei Konsumentinnen und Konsumenten keinen Anklang findet, wird heute zu Wurst verarbeitet. Das bedeutet aber keineswegs, dass Würste aus minderwertigen Zutaten bestehen. Im Gegenteil! Tendenziell wird heute Fleisch verwurstet, das früher dafür zu wertvoll gewesen wäre.
Special Cuts – auch Second Cuts genannt – sind spezielle Fleischzuschnitte. Viele davon gab es früher auch bei uns, doch sie sind in Vergessenheit geraten. Andere dieser speziellen Zuschnitte sind in neuerer Zeit aus den USA oder Frankreich zu uns gelangt.
Special Cuts werden meist aus Stücken geschnitten, die bei uns traditionell geschmort oder gesotten werden (Schulter, Bauch, Brust oder Huft). Wegen der anderen Art, sie zu schneiden, eigenen sie sich, ähnlich wie Edelstücke, zum Kurzbraten. Special Cuts haben meist etwas mehr Biss als Edelstücke und vor allem viel Geschmack.
Mittlerweile gibt es viele Metzgereien, die «Nose to Tail» und Special Cuts auf Vorbestellung anbieten.
Innereien
Reden wir von «Nose to Tail», unterscheiden wir zwischen Innereien und Fleisch. Innereien fallen beim Schlachten in die Kategorie «Schlachtverluste», sie werden also nicht zum Fleisch gezählt. Ein grosser Teil der essbaren Innereien endet heute meist als Futter für Haustiere.
Doch hast du schon einmal in alten Kochbüchern geschmökert? Tu das! Dir werden dabei die vielen Rezepte für Leber, Milken, Kalbskopf, Zunge, Herz, Kutteln, Lungenragout oder Knochenbrühe auffallen. Früher waren Innereien Delikatessen.
Heute musst du sie in der Metzgerei vorbestellen, denn sie gehören nicht mehr zum Standardsortiment. Doch das ist kein Grund, auf diese Stücke zu verzichten – im Gegenteil! Ihre Zubereitung ist nicht schwer und wenn du dich auf sie einlässt, erwarten dich Abwechslung und so manche Entdeckung.
Blut
In weiten Teilen der Welt galt Blut lange selbstverständlich als Lebensmittel. In der Schweiz läuft Blut heute in der Kategorie «Schlachtverluste». Wenn bei uns noch Blut verwendet wird, dann vor allem für Blutwürste. Doch diese sind sehr saisonal und hauptsächlich im Herbst und Winter gefragt.
Blut ist ein nahrhaftes Produkt. Suchst du nach Verwendungsmöglichkeiten, wirst du in vielen traditionellen Rezepten aus aller Welt fündig werden. Auch Küchenexperimente mit Blut lohnen sich: Zum Bespiel kann Blut Eier oder Rahm ersetzen, denn mit dem Schwingbesen aufgeschlagen, wird es fest wie Eischnee.
Knochen
Knochen wandern heute meistens in die Gelatineproduktion. Aber auch in deiner Küche kannst du Knochen für viel Gutes einsetzen. Da ist zum Beispiel das klassische Markbein, das du im Ofen röstest und dann mit etwas Peterli und Salz auf Toastbrot geniesst.
Knochen sind auch die Basis jeder guten Sauce. Dafür werden sie angeröstet und über Stunden ausgekocht, bis am Schluss ein Jus entsteht.
Knochen am Fleisch bedeuten Geschmack – sowohl im Fleisch als auch in der Schmor- oder Siedeflüssigkeit. Jeder Profi wird dir empfehlen, in einem Ragout oder einer Bouillon einen Markknochen mitzukochen, denn er gibt jedem Gericht noch mehr aromatische Tiefe.
Fett
Tierische Fette sind extrem vielfältig einsetzbar – für salzige als auch süsse Speisen. Ausserdem hat sich ihr Ruf heute massiv verbessert. Sowohl bei den tierischen als auch den pflanzlichen Fetten gilt weiterhin: Sie sind gesundheitlich unproblematisch und ein wichtiger Teil einer ausgewogenen Ernährung, wenn man sie in angemessener Menge zu sich nimmt.
In der Küche kann jedes tierische Fett für einen eigenen Zweck eigesetzt werden. So wird die Rösti, die im Rindsfett gebraten wurde, besonders knusprig. Schweineschmalz gibt feine Mürbeteige.